Die Sonne scheint. Grund um ein großes Laken, Sonnenöl, eine Diät-Cola und die
Gala einzupacken um einen Tag unter Mädchen im Strandbad zu genießen.
Meine Freundin hat ebenso Sonnenöl, ein großes Laken, dazu Äpfel, Bananen, Karottenschnitze und … ein Reclamheft, welches angeblich den Foucault Reader zusammenfassen soll, irgendwas von Hegel, ein Buch über Ikonen des nahen Ostens und die aktuelle Ausgabe der
Art eingepackt?
„Leider habe ich meine
Texte französischer Philosophen der Gegenwart zu Hause vergessen. Ich glaube Du hast das mit der vorlesungsfreien Zeit - der Zeit, endlich mal zu lesen, was einem Vergnügen bereitet, falsch verstanden. Möchtest Du etwa eine Hausarbeit am Hörnle schreiben? Wenn Du doch wenigstens den neuen Harry Potter eingepackt hättest.“ Ich fühle mich intellektuell denunziert.
Ich solle doch nicht so eine Mimose sein und mal herzeigen was ich eingepackt habe. „Die
Gala? Das ist doch crap!“
Bei einem Blick auf die
Art habe einzuwenden, dass doch Kunst im Allgemeinen, als auch im Speziellen crap sei.
Wie ich dazu käme, so etwas zu behaupten, wo ich doch bekanntermaßen kein großes Interesse an der Materie hege.
„Hier, das da zum Beispiel. Hegel. Was Du da liest -
Vorlesungen über Ästhetik - das ist zweihundert Jahre alt. Völlig überholt. Ich denke, der ganze Kunstdiskurs wird der ganzen Kunst der Gegenwart nicht gerecht. Klar könne man einen Eugène Delacroix unter dem Gesichtspunkt von Wahrheit und Schein analysieren. Aber dieses ewige herumkrebsen um die Frage danach, was denn letzten Endes Kunst sei, das führt doch zu nichts.“
„In der
Art geht’s um die documenta. Da kannst Du Dir anschauen, was Kunst ist. Es ist ja nicht so, dass nur weil man sich bei einer epistemologischen Begriffsklärung noch nicht einig wurde, nicht trotzdem massenhaft Kunst produziert würde. Und es ist ja auch nicht so, dass es in der Kunst kein Klassifizierungssystem gäbe. Es gibt sehr wohl ‚gute’ Kunst und ‚schlechte’ Kunst. Kunst die auf der documenta ausgestellt wird, und solche die es nicht wird.“
„Die documenta sei „völlig überkuratiert“ steht da. Wie herrlich selbstreflexiv ihr Kunstwissenschaftler doch immer seid. Ist es nicht die Aufgabe einer solchen Ausstellung zu kuratieren? Euch fällt aber auch immer was Blödes ein. Und demnächst sprecht ihr von der Ikonographie der Blindenschrift.“
Ich ernte einen missgünstigen Blick. „Schau halt mal weiter.“
„Ja, oder hier: Diese Reisterassen, die nicht wuchsen.
Das ist crap! Was soll denn das? Die erfüllen doch gar keinen Zweck und was daran Kunst sein soll verstehe ich auch nicht. Glaubst Du in China stellen sie einen kaputten Fleischwolf aus und behaupten das das Kunst sei?“
[1]

„Vielleicht. Wer weiß? Aber das ist ja auch gar nicht die Aufgabe von Kunst. Sie muss doch keinen Zweck erfüllen, vergleichbar mit dem Zweck oder der Aufgabe einer Maschine. Kunst diente im Groben schon immer nur dazu den Künstler oder den Auftraggeber zu präsentieren. Wenn man Kunst überhaupt so rational betrachten kann.“
„Aber muss Kunst denn dann nicht auch was hermachen? Ich meine, wenn Kunst jemanden präsentieren soll, muss sie denn dann nicht auch schön sein, oder wenigstens handwerklich gut gemacht? Was ist denn mit ‚Kunst kommt von können’? Der Reis ist ja nicht mal angegangen.“
„Der nicht angegangene Reis und dieser Turm aus chinesischen Holztüren, der einstürzte, sind das nicht genau die Objekte, die in Erinnerung bleiben? Die die documenta 12 und den Kunstbegriff unserer Zeit mehr als jedes andere Objekt repräsentieren? Ich finde dieser Künstler hätte sich gar nicht besser präsentieren können, als mit überschwemmten Reisterrassen.
Ausserdem muss sich Kunst ja nicht unbedingt nur über etwas visuell Wahrnehmbares präsentieren. Denk doch mal an das ‚Haus vom Nikolaus’. In diesem Fall wurde Polke mit Sicherheit nicht für seine Kunstfertigkeit bewundert, sondern dafür, dass er über Kunst nachdachte. Dieses Bild ‚die Frage nach dem Bild’ impliziert. Ich denke ein Künstler der sich Gedanken macht, ist viel weniger crap, als die Hausfrauen-Auquarelle, welche regelmäßig in der Sparkasse ausgestellt werden. Obwohl diese ‚Künstler’ die Kunstfertigkeit vermutlich in etlichen Volkshochschulkursen besser erlernten, als so mancher Künstler sie besitzt.“

„Aber ich mag mich nicht so einfach geschlagen geben: Dieses ganze, ‚in der Kunst über Kunst nachdenken’, also dafür ist Kunst mit Sicherheit nicht gemacht. Das kommt nur den Kunstwissenschaftlern sehr gelegen. Dann können sie wieder daherkommen mit Selbstreflexivität und Zitaten und ein Ende der Zeit ankündigen. Wie kannst Du sagen, Kunst (und wir sprechen ja von bildender Kunst) definiere sich nicht über etwas visuell Wahrnehmbares.
Kunst wird ja auch ver- und gekauft – und nicht nur an Museen, welche vielleicht ein wissenschaftlichen Rahmen dafür bilden. Es gibt ja auch Menschen die ein Schweinegeld für so manches Bild hinblättern um es sich dann … über die Wohnzimmercouch zu hängen, damit sie täglich über die Metaebene der Kunst diskutieren können?“
Mein Gegenüber beginnt herzlich zu lachen: „Ach, gib mir mal deine Gala. Ich glaube das Hörnle ist doch nicht der richtige Ort für solcherlei Diskussionen.
Und da fällt mir ein, ich habe das Buch dabei, welches Du mir ausgeliehen hast: Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Vielleicht hättest Du es lesen sollen bevor Du es verleihst. Insbesondere Sarah Kofmans Die Melancholie der Kunst könnte Dir vielleicht ein paar Fragen beantworten.“
Ich weiß zwar noch nicht, was in diesem Text steht, doch fühle ich irgendwie, dass ich verloren habe.
„Weißt Du wie die Kinder von Bob Geldof heißen? ... Sie heißen Fifi Trixibell, Peaches Honeyblossom und Pixie Frou-Frou.“
Auch ich muss lachen. „Sowas muss man auch nicht wissen. Das ist crap.“
Postscriptum:
For she too was without pity, if not without mercy, in the end, for both Nietzsche and Freud, whom she knew and whose bodies of work she had read inside and out. Like no one else in this century, I dare say. She loved them pitilessly, and was implacable towards them (not to mention a few others) at the very moment when, giving them without mercy all that she could, and all that she had, she was inheriting from them and was keeping watch over what they had—what they still have—to tell us, especially regarding art and laughter. [1]
Jacques Derrida nach dem Selbstmord Sarah Kofmans:
Textquelle:
[1] Jacques Derrida,
The Work of Mourning (Chicago & London: University of Chicago Press, 2001), S. 173
Bildquellen:
[1] Die Reisterassen der documenta 12
http://p3.focus.de/img/gen/V/h/HBVhMwJZ_Pxgen_r_467xA.jpg (06.09.2007)
[2] Der zusammengebrochene Turm chinesischer Holztüren der documenta 12
http://data4.blog.de/media/938/1737938_cabd8abea5_m.jpeg (06.09.2007)
[3] Ein Haus vom Nikolaus. Dieses hier von Gabriele Heider. Kuhmist und Acryl auf Leinwand.
http://www.gabriele-heider.de/i/bilder/aussteuer/haus/haus_2.jpg (06.09.2007)
[4] Hausfrauenkunst. Aquarellkatze
http://www.huperzia.de/Katzen/K765.jpg (06.09.2007)